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Nachruf: 100 Jahre Anton Cadotsch (1923–2023) – ein Abschied in Dankbarkeit

Am 7. Juli 2023 war es Ehrendomherrn Anton Cadotsch vergönnt, seinen 100. Geburtstag zu feiern. Zwei Tage später genoss er im Rahmen einer würdigen Feier im Schloss Waldegg bei Solothurn wunderbare Musik und freute sich bei bester geistiger Präsenz über die vielen Gratulantinnen und Gratulanten. Knapp sechs Monate danach wurde er am 27. Dezember 2023 von seinen zunehmenden Altersbeschwerden erlöst und durfte zu Gott gehen, den er zeitlebens unentwegt, fröhlich und einladend verkündigt hatte.

Von Urban Fink, Stv. Chefredaktor Kirchenblatt Solothurn

Ein erstes Blitzlicht: Heimat Grenchen

Als Toni am 7. Juli 1923 in Grenchen geboren wurde, herrschte dort Krise. Sein gleichnamiger Vater schlug als Oberförster als Arbeitsbeschaffungsmassnahme eine Strasse durch den Grenchner Vorberg vor und übernahm als Bauleiter auch gleich die Verantwortung für die Umsetzung. Die Bürgergemeinde Grenchen war so dankbar, dass ihm der «Cadotschstein» gewidmet und am 28. Dezember 1923 der ganzen Familie das Ehrenbürgerrecht verliehen wurde – Klein-Toni eingeschlossen.

Toni wuchs in einer behüteten und religiös verankerten Familie auf, geprägt durch seine Mutter Mariette und seinen Vater Anton, seinen zwei Jahre älteren Bruder Paul, seine zwei Jahre jüngere Schwester Pia, seine Grosseltern und Tante Alice. Diese Familienkirche führte ihn zum Glauben, und die Familie legte auch den Grundstein für die Lesefreude und die überdurchschnittliche musische und sprachliche Begabung von Toni.

Ein zweites Blitzlicht: Ausbildung

Mit 13 Jahren trat Toni in das von Kapuzinern geleitete Kollegium St. Fidelis in Stans ein. Die anregenden Jahre in der Urschweiz waren auch bei Toni der fruchtbare Boden, auf dem seine priesterliche Berufung wachsen konnte.

Nach der 1943 absolvierten Rekrutenschule in Liestal und einigen Monaten Studium an der Universität Genf trat Toni 1944 ins Priesterseminar in Luzern ein. 1946 bot sich Toni die Möglichkeit, im Päpstlichen Seminar Germanicum et Hungaricum in Rom weiter zu studieren und die Päpstliche Universität Gregoriana zu besuchen. Am 10. Oktober 1950 empfing er in Rom die Priesterweihe. In Rom erlebte Toni eine damals noch stark ultramontan ausgerichtete Weltkirche, in der Pius XII. das unangefochtene Oberhaupt war. Für Toni persönlich wurde die Freundschaft zu Otto Wüst wichtig, der ein Jahr nach ihm ins Germanicum eintrat, in anderer Form auch die Beziehung zu Hans Küng, der 1948 nach Rom kam.

Ein drittes Blitzlicht: Aufbruch

Schon in den 1950er-Jahren war absehbar, dass Veränderungen anstanden. Ein Beleg dafür ist die Doktorarbeit von Toni, die er nicht mehr in Rom, sondern am Institut Catholique in Paris über die Kindertaufe bei Luther und Zwingli und über die Anfänge der Wiedertäufer schrieb. Er lernte dort auch die Nouvelle Théologie kennen, ebenso das Ringen um eine Erneuerung der Liturgie und um ein neues Bibelverständnis.

In zwei Vikariatsjahren in Bern und als Subregens in Luzern konnte er nach dem langen Studium erstmals ausgiebig Seelsorge betreiben und Führungsaufgaben übernehmen.

1959 begannen seine insgesamt 17 Jahre als Religionslehrer an der Kantonsschule Solothurn, die durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) und die damit verbundene Öffnung auf die Moderne hin gekennzeichnet waren, aber auch durch die gesellschaftlichen Entwicklungen nach der 1968er-Revolution. In seiner Seelsorgetätigkeit in Solothurn und als Präsident der Synode 72 im Bistum Basel war Toni ein Promotor der Umsetzung des Konzils in der Schweiz und der damit möglich gewordenen Ökumene, gleich wie dies bei etlichen anderen Schweizer Priesterfreunden der Fall war, die in Rom noch durch die Neuscholastik geprägt wurden, aber in der Schweiz für die Umsetzung des Konzils wissenschaftlich wie pastoral die Vorhut bildeten.

Ein viertes Blitzlicht: Durchtragen

Als erster vollamtlicher Sekretär war Toni von 1976 bis 1983 für den Aufbau eines professionellen Sekretariats für die Schweizer Bischofskonferenz verantwortlich. Besonders herausfordernd war die Organisation des Papstbesuches, der für 1981 geplant, aber wegen des Papstattentats erst 1984 durchgeführt werden konnte. Die kirchliche und gesellschaftliche Aufbruchsstimmung war in diesen Jahren bereits getrübt, nun ging es ums Durchtragen in einer Kirche, die unter der strengen Hand von Johannes Paul II. wieder hierarchischer wurde und auf mehr Gehorsam pochte. In den Jahren 1983 bis 1996, nun wieder in Solothurn, wurde Toni als Stellvertreter und rechte Hand seines kränklichen bischöflichen Freundes Otto Wüst als Generalvikar besonders gefordert, ebenso als Dompropst in den Jahren 1993 bis 2000 mit zwei schwierigen Bischofswahlen.

Ein fünftes Blitzlicht: Weitertragen

Im Jahr 2000 wurde Toni auf eigenen Wunsch pensioniert, also 13 Jahre nach dem üblichen Pensionsalter. Als Seelsorger in St. Ursen und St. Marien, in Subingen und Deitingen und Günsberg und als Aushilfspriester leistete Toni über lange Zeit weiterhin begeistert und begeisternd priesterliche Dienste.

Er begleitete lange in Solothurn und einige Zeit auch gesamtschweizerisch die von Hans Urs von Balthasar gegründete Akademische Arbeitsgemeinschaft, war Präses der Männerkongregation in Solothurn und Mitglied der ökumenischen Arbeitsgruppe Christ + Welt und war seit 1997 Mitglied des Malteserordens, weitaus länger auch Mitglied im Rotary Club Solothurn. So gelang es ihm auf ganz verschiedenen Ebenen und an vielen Orten, das Feuer des Glaubens freundlich und einladend weiterzutragen.

Und zum Schluss: Was dürfen wir von Toni mitnehmen?

Das 2020 auf Anregung und Leitung von Jean-Pierre Simmen erschienene Interviewbuch mit dem Titel «Priester in Zeiten des Umbruchs» zeigt den roten Faden von Tonis Leben eindrücklich auf. Diesen Faden konnte er häufig nicht selbst weben, sondern er wurde durch seine kirchlichen Vorgesetzten vorgegeben. Und gegen Ende seines Lebens trug er seine Einschränkungen – für einen Bücherfreund besonders einschneidend das schwächer werdende Sehvermögen – mutig und klaglos.

Im Interview mit Jean-Pierre Simmen schaute Toni trotz Krisen und schwierigen Phasen dankbar und reich beschenkt auf sein langes Leben zurück. Sein innigster Wunsch war, «dass das Evangelium als lebendiges Zeugnis neu präsent wird». Toni fügte damals an, dass das nur mit der Hilfe Gottes als Geschenk von oben möglich ist. Und: «Es braucht nicht eine revolutionäre Entwicklung, sondern das Suchen von Lösungen durch den Einsatz aller Beteiligten und ein neues Hören auf die Botschaft Jesu.» Er selbst hat sich zeitlebens klug, feinfühlig und im guten Sinne fromm für diese Frohbotschaft Christi eingesetzt.

Tonis Hinschied löst vielerorts Trauer aus. Grösser noch als die Trauer ist aber die Dankbarkeit für sein Lebenszeugnis als Mensch, Christ, Priester und Freund. R.I.P.