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Hirtenwort 2024: Umkehr und Neuanfang

Liebe Geschwister in Christus

Wenn ich den Hirtenbrief verfasse, gehen mir die zahlreichen Anliegen und Sorgen, die Sie bis heute auf verschiedene Weise äussern, durch den Kopf. Noch mehr ziehen Begegnungen vor meinem inneren Auge auf, Gespräche, in denen Sie Wünsche, Anregungen, Erwartungen, kritische Rückmeldungen, Unverständnis und auch Wut zum Ausdruck brachten. Seit der Veröffentlichung der Pilotstudie zu den sexuellen Missbräuchen im Umfeld der Kirche haben die Rückmeldungen nochmals deutlich zugenommen. Ich danke Ihnen auch bei dieser Gelegenheit für Ihre vielfältigen Anregungen. Um Sie so gut als möglich wahrnehmen zu können, bin ich darauf angewiesen, immer wieder zu hören, was Ihnen unter den Nägeln brennt.

Ich höre den folgenden Grundtenor: So kann es mit der Institution Kirche nicht weitergehen. Ich teile diese Einschätzung. Wir brauchen einen Wandel. In der Sprache der Bibel heisst das Umkehr. Unsere Kirchengemeinschaft braucht Umkehr und Busse gleich wie die Menschen in Ninive, auf welche die erste Lesung des heutigen Tages Bezug nimmt. Diese haben erkannt, dass es einen radikalen Neuanfang braucht, eine Hinwendung zu Gott. Sie kehren um und erfahren Gottes Zuwendung.

Ninive liefert uns kein konkretes Rezept für einen Neuanfang. Wir stehen in der Verantwortung, im Hier und Jetzt zu handeln. Wenn es darum geht, wie eine synodale Erneuerung der Kirche aussehen kann und wie sich dabei die verschiedenen Menschen mit ihren Verantwortungsbereichen zueinander verhalten, scheiden sich die Geister. Das Meinungsspektrum ist gross, noch weit grösser als es uns die Medien abbilden. Ich bin aber aus den Erfahrungen der vergangenen Monate fest davon überzeugt, dass es möglich ist, in diesem Prozess zu wachsen und an Tiefe zu gewinnen – als Christinnen und Christen und vor allem als Gemeinschaft. Mich berühren die synodalen Gespräche im Bistum und an der Bischofssynode in Rom, weil ich merke, dass im Gemeinsamen unsere Stärke liegt. Für diese Stärke spricht die gegenseitige Achtung, die den guten Willen im Gegenüber anerkennt und ehrliche Gespräche ermöglicht. Wir alle zusammen sind es, die für eine synodale Kirche brennen und nach guten Formen des Glaubenslebens suchen, die eine Ausstrahlung haben und anziehend sind. Wo liegt aber der gemeinsame Nenner, wo ist der Anknüpfungspunkt?

Auch das heutige Evangelium liefert uns keine Lösung. Ich erkenne in den Worten Jesu jedoch Hinweise für den Boden, auf dem jede echte Umkehr steht. Um diese Hinweise zu erfassen, setzen wir nochmals kurz bei den Menschen von Ninive an. Jonas Umkehrruf in Ninive und das darauf bezogene Handeln der Menschen war aus der Erkenntnis des Scheiterns und der Schuld motiviert. Das Scheitern der Institution Kirche tritt mit den Machtmissbräuchen und der sexuellen Gewalt, die unsägliches Leid verursacht haben, klar zutage. Diese Erkenntnis fordert Umkehr. Die Hinwendung zu Gott, von der Jona spricht, schliesst die Hinwendung zu den Menschen, besonders die Sorge um die Betroffenen ein.

Im Evangelium steht der Umkehrruf von Jesus auf dem Boden der Ankündigung der Heilsherrschaft Gottes. «Das Reich Gottes ist nahe», spricht Jesus, «kehrt um und glaubt an die Frohe Botschaft». Die Erfahrung vom Reich Gottes, der feste Glaube, dass Gott in unserem Leben wirkt, geht der Umkehr voraus, ja motiviert zur Umkehr. Sie schaut nicht wie bei Jona primär auf das Scheitern zurück, sondern sie hat bei Jesus ein Ziel, auf das sich die Gläubigen ausrichten: das Reich Gottes.

Den gemeinsamen Anknüpfungspunkt sehe ich in der Erfahrung von Gottes Wirken und seiner Kraft in unserem Leben. Jede und jeder Gläubige kann etwas davon berichten. Es ist der Glaube und die Hoffnung auf das Gute, auf Jesus Christus und seine Botschaft, die uns alle verbindet. Es ist die feste Erwartung, dass diese Botschaft durch Menschen in der Kirche und durch alles, was das kirchliche Leben umfasst, verbreitet wird und so verbreitet werden kann, dass sie auch tatsächlich bei den Menschen ankommt. Alle Engagierten in der Kirche verbindet – so individuell die Glaubensbiographien auch sind – dass sie genau diese Erfahrung von Gottes Wirken durch Worte und Taten anderer Menschen im kirchlichen Umfeld bereits gemacht haben.

Die Gespräche in den vergangenen Monaten mit Menschen aus dem Bistum und auch an der Synode in Rom haben für mich bestätigt, dass sich dort vielversprechende Wege auftun, wo sich die beiden Motivationen zur Umkehr aus den heutigen Lesungen verbinden. Umkehr aus aufrichtiger Reue, schonungslosem Hinschauen und Einsicht wie bei Jona und Umkehr aus der Erfahrung, dass Gutes trotz allen Widrigkeiten möglich ist, weil nicht wir sie alleine machen, sondern Gottes Wille zu unserem Besten all unseren Bemühungen vorausgeht.

Eine synodale Kirche fusst auf Vertrauen in Gott und in die Menschen und auch in die Kirche. Denn trotz aller Grenzen der Institution: Kirche sind wir alle, denn die Kirche ist die Gemeinschaft aller Glaubenden, die auf Gottes Hilfe hoffen, miteinander das Leben teilen und wie Jesus aufmerksam und einfühlsam für die Nächsten da sind. Das Engagement als Christin und als Christ macht etwas vom Reich Gottes sichtbar. Es ist nicht perfekt, aber es ist an vielen Orten in unserer Kirche und in vielen Menschen bereits zu spüren.

Ich danke Ihnen, liebe Geschwister im Glauben, für Ihr Vertrauen in dieser Zeit. Ich danke Ihnen für ihr kritisches Denken, für Ihr vielseitiges Engagement, Ihr Mitdenken, Ihre Geduld und Ihr Gebet, dass der Heilige Geist mit frischem Wind durch unsere Kirche fegt und sie zum Guten aufrüttelt.

Ihr
+Felix Gmür, Bischof von Basel


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